15. Juni 2022

Vertikale und horizontale Verriegelung oder Verschlusskopf- und Verschlussträger-Verriegelung

 Hallo alle zusammen und herzlich Willkommen zu einem neuen Post,

ich bin mit einem neuen Begriff aus der Waffenkunde konfrontiert worden und zwar der vertikalen Verriegelung und der horizontalen Verriegelung

Und da ich mich für absolut allen anderen Menschen überlegen halte, habe ich demjenigen natürlich sofort ein a nescire ad non esse um die Ohren gehauen gefolgt vom guten alten Feld D8. Auf gut Deutsch hab ich ihm also gesagt, dass wenn ich was nicht kenne es das auch nicht gibt, weil ich eben alles weiß.

Nein, das habe ich natürlich nicht gemacht, sondern mich gefreut, dass es endlich mal wieder was neues gibt, dass ich auf dem Gebiet der Waffenkunde noch nicht kenne. Also hab ich ganz schnall nach mehr Kontext und der genauen Definition gefragt und hab dann auch prompt Antwort bekommen.

Und zwar geht es verkürzt darum, dass nicht alle Waffen mit ihrem Verschlusskopf direkt eine 90°-Verbindung mit dem Waffengehäuse eingehen und dass es auch Modelle gibt, wo Verschlusskopf und Schildzapfen andere Kontaktwinkel haben. Wer jetzt bei Dannecker (2016, Seite 21) gut aufgepasst hat der weiß, dass es dann keinem Formschluss, sondern einen Kraftschluss gibt.

Verschlussträger-Verriegelung (oben)
Verschlusskopf-Verriegelung (unten)
So einfach scheint das Ganze aber gar nicht zu sein, denn nur weil eine Verbindung kraftschlüssig ist,  muss dies ja nicht auf alle Kanten zutreffen. So kann ich mich noch gut daran erinnern, dass mir die Abstützfläche des FN FAL immer schon sehr flach vorkam. Aber da wird ja auch der Verschlusskopf von Träger unten gehalten und genau das ist es, was man mit horizontaler Verriegelung zu meinen scheint.

Hier eine kleine Grafik eines  Kippblockverschlusses. Die Stoßbodenkräfte F mit ihrem grünem Pfeil drücken auf den roten Verschlusskopf. Dieser ist mit einer 45°-Kante im grauen Waffengehäuse abgestützt. Nun kommt es zu einer Kräftezerlegung welche in den beiden cyanfarbenen Pfeilen sichtbar wird. Ein Teil der Kraft wird auf das Gehäuse übertragen und ein anderer möchte den roten Verschlussträger gerne nach unten drücken. Dies resultiert an den Kontaktstellen vom roten Verschlusskopf und lilafarbenem Verschlussträger in den gelben Kraftpfeilen. Da diese Kontaktstellen aber, aus Sich des roten Verschlussträgers, 90° Flächen sind, kommt es hier zu einer formschlüssigen Verrieglung. Die Stoßbodenkraft F kann den Verschluss nicht öffnen, da Verschlusskopf und Verschlussträger mit einander verriegeln und das mit den namensgebenden horizontalen Flächen.

Bei Bild unten wirken die gleichen Stoßbodenkräfte F mit ihrem grünen Kraftpfeil auf den roten Verschlusskopf. Dieser ist jedoch mit einer 90° Fläche mit dem grauen Waffengehäuse in Kontakt. Der Verschluss ist bereits hier formschlüssig verriegelt und zwar durch einer vertikalen Kontaktfläche.

Der Unterschied besteht also im Ort des Formschlusses, dieser ist ein einer Waffe an mehreren Orten und vor allem zwischen mehreren Elementen möglich. Der früheste Schluss ist einfach der zwischen Verschlusskopf und Lauf, wie ihn AK und M16 ausweisen. Dann kann es zu einem Formschluss zwischen Übertragungsglied und Waffengehäuse kommen wie bei Stützkappen* oder Schwenkriegelverschlüssen* und wie hier zu sehen erst zwischen Verschlussträger und Gehäuse wie scheinbar bei FN FAL und Stg.44.

Aber wo liegt jetzt der praktische Unterschied? Das wird nicht in vollem Umfang so einfach zu beantworten sein aber denken wir uns mal in ein idealisiertes Modell hinein, in dem es keine Schwerkraft gäbe. Würde man im ersten Bild den lilafarbenen Verschlussträger einfach verschwinden lassen, würde sich der Verschlusskopf, unter dem Einfluss der Stoßbodenkräfte, nach unten bewegen und sich öffnen. Dabei müsste er nur zusätzliche Masseträgheit für die Vertikalbewegung überwinden.

Der unter Verschluss würde sich auch nach einem Verschwinden des Verschlussträgers nicht öffnen, da er sich selbst formschlüssig abstützt. Der Verschlussträger ist hier auf die Aufgabe reduziert, den Kopf in Position zu drücken und hat danach nicht mehr zu tun. Dadurch kann er natürlich aus weicherem Material gebaut werden.

Ein weitere Schlüsselpunkt ist die Reibung, wird der Verschluss oben durch ein indirektes Gassystem zwangsgeöffnet, so entsteht an den gelben Pfeilen eine Reibung. Diese entsteht, wenn die Stoßbodenkräfte noch bei voller Kraft sind. Der Verschlussträger muss also gegen diese Reibung nach hinten gezogen werden. Möchte man dies verhindern, so darf das Gassystem erst sehr spät in Aktion treten, was die theoretisch mögliche Feuergeschwindigkeit der Waffen reduziert.

Das untere System ist noch weit anfälliger, hier pressen die Stoßbodenkräfte den Verschlusskopf hinten ans Gehäuse, diese Verbindung muss vom Verschlussträger zwangs gelöst werden, in dem dieser den Kopf nach unten zieht. Dabei muss dieser die Reibungskräfte zwischen überwinden, was zu Abrieb führen kann. Dieser langsame Verlust an Material kann auf lange sich zu einem falschen Verschlussabstand führen.

Fazit: Vertikalen und horizontale Verriegelung gibt es und eine Unterscheidung kann, je nach Anwendungsbereich sehr wichtig sein.

P.S.

Noch mal vielen Dank für die Anregung, ich bin immer froh, wenn es mal neue Anstöße im sonst eher drögen Bereich der Waffenkunde gibt.

*bevor ich hier jetzt RPD für den Stützklappenverschluss und das vz.58 für den Schwenkriegelverschluss nennen, würde ich doch gerne erstmal gucken, ob die beiden denn wirklich mit ihren Übertragungsliedern verriegeln und nicht auch mit ihren Verschlussträgern. Denn da bis jetzt nur selten sauber unterschieden wurde, sollte man besser keine alten Kamellen ungeprüft abschreiben. Das dazugehörige Experiment ist übrigens denkbar einfach: 

Man nimmt sich die Waffe, entfernt den Verschlussträger und baut sich aus Klingeldraht oder Schaumstoff einen Ersatzkörper, der einfach nur das jeweilige Übertragungsglied davon abhält, unter der Schwerkraft aus einer Position heraus zu fallen. Alternativ kann man auch einfach die Waffe so hinlegen, dass die Schwerkraft für einen arbeitet. Anschließend führt man den Stifttest aus, den ja jeder kennen sollte. Öffnet sich der Verschluss ist der fehlende Verschlussträger wohl maßgeblich an der formschlüssigen Verriegelung beteiligt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen