30. Juni 2022

Warum das G3 einen geringeren Rückstoß hat, als das FN FAL

 Hallo alle zusammen und herzlich Willkommen zu einem neuen Post.

Dass das G3 einen komplett anderes Rückschlag verhalten an den Tag legt als das FN-Gewehr, weiß jeder, der die beiden guten Stück schon mal geschossen hat aber warum das so ist dazu gibt es bislang keine zufriedenstellende technische Erklärung.

Pendelkanone
mit festen Stoßboden
Nun bin ich aber während einer Recherche, welche eigentlich den Fokus Messmethoden hatte, auf eine Antwort gekommen, welche mehr als nur zufriedenstellend ist.

Die Messmethode um die es geht ist der Pendellauf, eine Methode zur Ermittlung des Rückstoßes, die eigentlich jeder kennen sollte. Was man übrigens auch kennen sollte, um diesen Text hier zu verstehen ist der Unterschied zwischen Rückstoß, dem physikalischen Prinzip der Gegenreaktion auf einen schwereren Körper und Rückschlag, den Schlag welcher ab Ende seinen Weg in die Schulter des Schützen findet. 

Aber wieder zurück zur Methode, man hängt einfach einen Waffenlauf an zwei Seilen an ein Gestell, feuert das ganze ab und guckt, dass wie weil der Lauf, welcher gleichzeitig als Pendel fungiert, ausgeschwungen ist. Weiter Ausschwung viel Rückstoß, wenig Ausschwung wenig Rückstoß. Solange der Lauf über eine stoff- oder formschlüssige Verriegelung verfügt, sind hier Rückstoß und Rückschlag identisch.

Nun kommen wir aber zu einem modifizierten Aufbau unsere Pendelkanone. Jetzt ist das Rohr zu beiden Seiten offen und es befindet sich in der Mitte zwei Geschosse und dazwischen eine Pulverladung. Der Aufbau ähnelt also in etwa einem Gegenkolbenmotor. Welcher Bewegung des Pendels wäre nun in einem idealisierten Aufbau zu erwarten? Recht einfach, das Pendel bewegt sich nicht, da zwei Massen sich in zwei unterschiedliche Richtigen bewegen aber warum ist das so?

Pendelkanone mit
gleichen Massen
Dazu sehen wir uns das an, was eigentlich Jeder wissen sollte, der sich mit Feuerwaffentechnik beschäftigt: Die Übertragung der Gegenreaktion einer beschleunigten Masse über einen fluidmechanischen Körper.

Aber eines nach dem anderen, schließlich habe ich auch Leser, welche nicht so tief in der Materie stecken. Sobald das Triebmittel zwischen den beiden Geschossen zündet, entsteht ein Druck. Dieser beaufschlag alle ihn begrenzenden Flächen. Darunter sind auch die Böden der beiden Geschosse, welche hier wie die Stirnseiten von zwei Kolben fungieren. Das Druck auf diese Kolben bewirkt, dass sie sich im Lauf, welcher als Zylinder fungiert, bewegen. Die Geschossen werden beschleunigt.

Sobald die Geschosse beschleunigen entsteht nach dem dritten Gesetzt nach Isaac Newton eine Gegenreaktion, die wir aber erstmal noch nicht zu einem Rückstoß erklären, was man auch generell nicht tun sollte. Aber was macht diese Gegenreaktion? Recht einfach, die wirkt am gleichen Ort und mit gleicher Kraft aber in die entgegengesetzte Richtung.

Während das Gas auf das Geschoss drückt, drückt das Geschoss gleichzeitig in das Gas. Was passiert, wenn man auf einen Fluidkörper einwirkt, müsste eigentlich jeder wissen, der als Kind viel Zeit im Schwimmbad verbracht hat - es entsteht eine Welle. 

Diese Welle hat sogar einen Namen es ist die Lagrange-Welle, benannt nach einem Franzosen, welcher diese das erste mal, während der französischen Revolution, annähert berechnete. Wer sich für die genaue Berechnung samt Tabelle interessiert, kann dies bei Dr. Carl Cranz im zweiten Band des Lehrbuchs der Ballistik auf den Seiten 147 bis 150 nachlesen.

Es entsteht also eine Welle. Diese Wellt unterscheidet sich nicht großartig von den Wellen in anderen Fluiden und bewegt sich vom Geschossboden ausgehend vom Geschoss weg. Bei einer Waffe mit einem stoffschlüssigen Ende oder einem formschlüssigen Verschluss würde diese Welle irgendwann das hintere Ende der Waffe erreichen und dort quasi anbranden. Dabei würde sie einen Teil ihrer Bewegungsenergie auf den Stoßboden übertragen und es käme zu dem was wir als Rückstoß bezeichnen.

Pendelkanone mit
 ungleichen Massen
Bei unserem modifizierten Versuchsaufbau jedoch haben wir zwei Wellen. Denn auch das andere Geschoss verursacht eine solche Welle. Wir haben also zwei Wellen, die sich früher oder später treffen werden. Ich werde auch jetzt besser mit Konzepten wie Wellen-Interferenz oder dem Superpositionsprinzip verschonen und es einfach dabei belassen, dass auf beiden Seiten des Rohes das gleiche passiert. Das Resultat ist, dass sich das Pendel, wie erwartet, nicht bewegt.

Nun modifizieren wir den Aufbau erneut, ändern aber nur ein kleines Detail und zwar für wir dem linken Geschoss ein ganz klein wenig Masse hinzu. Es ist nun also schwerer und verfügt deswegen über eine größere Masseträgheit. Zünden wir die Treibladung, so beaufschlagt der Druck wieder alle ihn begrenzenden Flächen. Beide Geschosse werden also weiterhin mit der gleichen Kraft angetrieben.

Der Unterschied ist nun jedoch, dass sich das rechte Geschoss schneller bewegt, da es wegen seiner leicht geringeren Masse eine stärkere Beschleunigung erfährt. Wie auch im vorherigen Aufbau erzeugen beide beschleunigte Massen jeweils eine Gegenreaktion. Der Unterschied ist jedoch, das die stärkere Actio der leichteren Masse auch einen stärkere Reaktio zur Folge hat. Die Welle welche vom leichten Geschoss aus geht ist also stärker.

Nach der Berücksichtigung der oben genannten Konzepte wird diese Welle irgendwann bei linken Geschoss ankommen und einen Teil ihrer Energie auf dieses Übertragen. Dieses wiederum wird einen Teil der von der Welle erhaltenen Energie auf den Lauf übertragen. Zu beobachten ist nun, dass das Pendel ein wenig ausschwenkt aber nicht so stark, wie bei einem festen Stoßboden.

Der Grund ist, dass zwei, in entgegengesetzte Richtungen, bewegliche Massen auch immer jeweils eine eigene Gegenreaktion besitzen, welche sich in Wellen innerhalb der Pulvergase als fluidmechanischen Körper bewegen. Erst der Unterschied der Stärke dieser Wellen bestimmt die Stärke des Ausschwenkens des Pendels. Ist die Stärke der Wellen identisch so findet kein Ausschlagen statt.


Was das G3 angeht, so sieht unter Aufbau nun so aus, dass es zwar eine ganze Menge an Faktoren der Ungleichheit gibt aber das Prinzip das gleiche bliebt. Wir gaben ein Rohr, dabei handelt es sich zum Teil um den gezogenen Teil des Laufes und zum anderen um die Patronenkammer und das Waffengehäuse und zwei Geschosse. Das erste Geschoss ist das Geschoss an sich, das andere Geschoss ist die Patronenhülse mit dahinter liegendem Verschluss. Das Geschoss wird vom Gasdruck nach vorne Geschossen und erzeugt eine Welle - die Patronenhülse mit dem Verschluss dahinter wird nach hinten geschossen und erzeugt dabei eine Welle.

Jetzt ist das Geschoss zwar leicht aber dabei auch extrem schnell und so verursacht es eine nun deutlich stärkere Welle als der Verschluss. Aus diesem Grund ist der Rückstoß nun deutlich mess- und spürbar, liebt aber immer noch deutlich unter dem Wert, einer Waffe mit festem Stoßboden.

Aber wie eingangs erwähnt ist Rückstoß noch lange nicht Rückschlag und damit kommen wir zu einem kleinen Abriss zu diesem Thema. Das Problem des G3 liegt hier in der enormen Verschlussträgergeschwindigkeit, diese wird durch die Übersetzung verursacht, welche beim G3 für die sichere Waffenfunktion notwendig ist. Schlägt dieser beschleunigte Verschluss hinten am Waffengehäuse an, so überträgt er fast seine gesamte kinetische Energie auf das Waffengehäuse und damit auf den Schützen. Das G3 hat also erst einen recht milden Rückstoß aber dann einen recht heftigen Verschlussträgeranschlag. Es wirken demnach zwei mittlere Kräfte kurz hinter einander, welcher sich jedoch wie ein langgezogenen Rückschlag anfühlen.

Das FN FAL hingegen übergibt, als Waffe mit beim Schuss feststehendem Stoßboden, den vollen Rückstoß an das Gehäuse. Es gibt keine Gegenwelle. Dafür ist der Verschlussträgerrücklauf langsamer, da dieser von aus dem Lauf abgezapften Gasdruck angetrieben wird.

Oft wird bedeutet, das FN FAL hatte einen geringeren Rückschlag, da Gas aus dem System gezapft wird. Darauf kann man nur entgegnen, dass man doch bitte mal Gebrauch vom einstellbaren Gassystem der Waffe machen soll. Wählt man beim FN FAL immer größere Öffnungen so wird es für den Schützen immer unangenehmer. Es geht zwar tatsächlich mehr und mehr Gas verloren, jedoch erhöht sich auch immer und immer mehr die Verschlussträger Geschwindigkeit und letztere ist für den Rückschlag sehr viel wichtiger als das bisschen Gas.

Im übrigen hingt der Vergleich von G3 und FAL ohnehin ein wenig, da bei de Waffe unterschiedliche Lauflängen ausweisen und zudem die meisten FAL Versionen mit Mündungsfeuerdämpfern ausgestattet sind, welche man zumindest als Expansionsröhren ansehen kann.

Anmerkung:

Hier noch kurz ein Nachtrag zur Welle. Natürlich bildet sich nicht ab einer bestimmten Geschwindigkeit, der jeweils beschleunigten Masse, plötzlich eine große Welle. Viel mehr müsste man mit vielen kleinen Wellen rechnen, die mit zunehmender Beschleunigung der betreffenden Masse immer stärker werden. Die Reduktion auf eine Welle ist eine Vereinfachung, welche sich Lagrange, Vielli, Hugoniot, Charbonnier, Gossot-Lioville und Love-Pidduck aber ebenfalls erlaubt haben.

Kurioses:

Ich habe eine Nachricht bekommen, nachdem sich nur die leichtere Masse bewegen soll, weil Druck immer den Weg des geringsten Widerstandes nähme. Nein, das mit dem geringsten Widerstand ist Strom, also elektrischer Strom - Gas in geschlossenen Systemen funktioniert anders. Eingeschlossenes Gas beaufschlagt alle umgebenden Flächen mit der gleichen Kraft pro Fläche (Fn=a*p). Bekommt der Druck also zwei Flächen geboten, an denen er Arbeit verrichten kann, so verrichtet er Arbeit entsprechend der ihm zur Verfügung stehenden Fläche (a). 

Beispiel: Wenn ein Schotte auf einem Dudelsack spielt und dessen Sack zwischen seinen Rippen und seinem Arm einklemmt, welche Pfeife wird dann einen Ton von sich geben, nur diejenige mit dem größten Loch, da diese ja den geringsten Widerstand bietet oder würde man einfach alle Pfeifen hören?

Noch ein Beispiel, ein Druckbehälter hat zwei Sicherheitsventile, eines mit Grenze von 100, das andere mit einer Grenze von 200 Bar. In dem Behälter befindet sich aber ein Druck von 1000 Bar. Welches Ventil würde sich öffnen, nur das mit der 100 Bar Grenze, da es den geringeren Widerstand bietet oder würden einfach beide Ventile sich öffnen? 

Ich weiß natürlich das solche Behauptungen absoluter Unsinn sind und von Leuten kommen, die wahrscheinlich keinen richtigen Schulabschuss haben aber ich finde sie recht kurios.

21. Juni 2022

Hat "Moderne Handfeuerwaffen" von "Infanteriewaffen Heute" abgeschrieben?

Hallo alle zusammen und damit herzlich Willkommen zu einem neuen Beitrag.

Na da bin ich ja mal  wieder über eine schöne Kuriosität in der deutschen Waffenliteratur gestolpert aber eines nach dem anderen, denn die Geschichte ist echt lustig. Alles hat damit angefangen, dass ich mir vor einigen Monaten ein Video der Waffenlords angesehen habe. Ihr wisst schon diese deutschen Jungs, die mit Pappys Waffen spielen dürfen und darüber unfassbar schlechte YouTube drehen.

Ich frage mich ja schon länger, woher die Junge den Unsinn haben, den sie so über Pappas Waffen erzählen. Sie sagen zwar in ihren Videos immer, dass ihr Wissen aus Fachliteratur stammt aber selbst auf mehrmalige Anfrage können sie weder einen Autoren noch einen Titel nennen. Aber im besagten Video wurde etwas so unfassbar krudes behauptet, dass ich da einfach mal nachsehen musste. Dazu sollte ich eventuell kurz erwähnen, dass man nicht jede Falschaussage unbedingt gut in die Fachliteratur zurück verfolgen kann aber wenn der Fehler extrem komisch ist, wird es in der Regel recht einfach, weil besonders krude Fehler nicht so oft abgeschrieben werden.

Der Fehler um den es geht ist folgende Behauptung:

"Der IMI Galil* hat Bohrungen, durch welche die Pulvergase strömen, dabei säubern diese Pulvergase den Verschluss der Waffe."

Dass das völliger Unsinn ist, sollte jedem klar sein. Aber meine Frage war jetzt, wo die Waffenlords diese Behauptung aufgeschnappt haben könnten. Und wie immer, wenn es darum geht Unsinn in der deutschen Waffenliteratur ausfindig zu machen, gibt es grundsätzlich immer zwei Verdächtige. Und zwar genau die beiden Bücher, welche auch für das Groß des Unfugs in der deutschen Wikipedia verantwortlich sind.

Einmal das Buch Schützenwaffen Heute ein Buch aus der ehemaligen DDR, das früher Anfängern oft empfohlen wurde aber heute als hoffnungslos veraltet gilt und Moderne Handfeuerwaffen aus der Reihe Waffen und Gerät - ihr wisst schon, diese rechteckigen Kladden, die an der kürzeren Seite Gebunden sind. 

Da ich zum Glück nur erstes Buch habe, hab ich da auch gleich mal nachgesehen aber meinen Mitautoren mal gebeten, im zweiten nachzusehen, da mein geschätzter Helfer ja ein Herz für schlechte Waffenbücher hat, besitzt Danny natürlich ein Exemplar von Moderne Handfeuerwaffen.

Ich bin dann in Schützenwaffen Heute auch sehr schnell fündig geworden und so finden sich im ersten Band ganz hinten bei Israel auf Seite. 261-262 die folgenden Worte:

"Durch die secht Bohrungen des Gaskolbenführungsringes entweicht eine geringe Menge des Gases nach hinten, reinigt dabei Verriegelungszapfen, Stoßboden und Zubringer. Verschmutzung durch Sand, Wasser oder Schlamm werden somit vermieden."

Nun dachte ich mir schon, dass wir nun die Quellen des Wissens der Waffenlords kennen aber kaum hatte ich das gedacht, meldet sich mein Mitautor bei mir, um mir zu erklären, dass in Moderne Handfeuerwaffen auf Seite 112-113 folgendes zu lesen ist:

"Durch sechs Bohrungen im Führungsring des Gasklobens strömt eine geringe Menge der Pulvergase nach hinten und reinigt dabei Verriegelungswarzen, Stoßboden und Gleitbahn des Verschlusses, wodurch Verschmutzungen und Funktionsstörungen durch Sand, Wasser oder Schlamm vermieden werden."

Der Übeltäter, Moderne Handfeuerwaffen, Ian Hogg
Das ist ja ziemlich offensichtlich Beiname der gleiche Text. Wie gelangt denn der Text eines Buches aus der ehemaligen DDR in ein Buch, welches angeblich aus dem Englischen übersetzt wurde? Moderne Handfeuerwaffen stammt übrigens von Ian V. Hogg und heißt im Original Small Arms: Pistols and Rifles und ist bei Greenhill Military Manuals erschienen.

Das naheliegendste ist natürlich, dass Willi Kaiser, der Übersetzer von Moderne Handfeuerwaffen, bei den Autoren von Infanteriewaffen Heute abgeschrieben hat, was ja eigentlich nicht seine Aufgabe war, er sollte lediglich übersetzten. Um hier Klarheit zu schaffen, müsste man sich nun das englische Original ansehen aber das scheint ,stand 21.06.2022, keiner zu besitzen, den ich kenne und auch in keiner deutschen Bibliothek zur Einsicht verfügbar zu sein.

Fazit: Modere Handfeuerwaffen sollte man nach wie vor nicht als seriöse Quelle ansehen.

P.S.

Interessant sind zudem die keinen Änderungen wie von Gaskolbenführungsringes zu Führungsring des Gasklobens oder von Zubringer zu Gleitbahn des Verschlusses. Was übrigens zwei verschiedene Sachen sind, das eine bezieht sich auf die Platte im Magazine, welche die Patronen nach und nach nach Oben befördert und das anderen kennen wir einfach als Verschlussbahn. Warum hier getauscht wurde bliebt unklar.

Das beiweitem interessantestes sind aber die technisch korrekten Verriegelungszapfen welche aber zu genau den Verriegelungswarzen wurden, welche einige Waffentechniker versuchen sprachlich auszurotten, da es sich um einen untechnischen Begriff handelt.

Nachtrag vom 21.04.2023

Da man sich das englischsprachige Original mit dem Titel Small Arms: Pistols and Rifles mittlerweile bei Archive.org digital ausleihen lässt, habe ich natürlich sofort doch nachgesehen und konnte feststellen, dass sich im Kapitel über Galil und Galatz auf den Seiten 120 bis 123 (Link) der Unsinn mit der Selbstreinigung nicht auffinden lässt. Auch eine Auskopplung mit dem Titel Modern Military Rifles von John Walter, mit beinahe identischem Text, lässt im Kapitel über den Galil auf den Seiten 85 bis 86 (Link) die Selbstreinigung vermissen. Dafür wird dort jedoch angegeben, dass der Galil AR keinen Spanngriff (cocking handle) mehr besitzen würde, wahrscheinlich war hier Tragegriff (carrying handle) gemeint. 

*Galil (heb. גליל) bedeutet Galiläar, also eine männliche Person die in der Gegend von Galiläa wohnt. Es ist folglich der Galiläa, wie es dann der Galil ist.

15. Juni 2022

Vertikale und horizontale Verriegelung oder Verschlusskopf- und Verschlussträger-Verriegelung

 Hallo alle zusammen und herzlich Willkommen zu einem neuen Post,

ich bin mit einem neuen Begriff aus der Waffenkunde konfrontiert worden und zwar der vertikalen Verriegelung und der horizontalen Verriegelung

Und da ich mich für absolut allen anderen Menschen überlegen halte, habe ich demjenigen natürlich sofort ein a nescire ad non esse um die Ohren gehauen gefolgt vom guten alten Feld D8. Auf gut Deutsch hab ich ihm also gesagt, dass wenn ich was nicht kenne es das auch nicht gibt, weil ich eben alles weiß.

Nein, das habe ich natürlich nicht gemacht, sondern mich gefreut, dass es endlich mal wieder was neues gibt, dass ich auf dem Gebiet der Waffenkunde noch nicht kenne. Also hab ich ganz schnall nach mehr Kontext und der genauen Definition gefragt und hab dann auch prompt Antwort bekommen.

Und zwar geht es verkürzt darum, dass nicht alle Waffen mit ihrem Verschlusskopf direkt eine 90°-Verbindung mit dem Waffengehäuse eingehen und dass es auch Modelle gibt, wo Verschlusskopf und Schildzapfen andere Kontaktwinkel haben. Wer jetzt bei Dannecker (2016, Seite 21) gut aufgepasst hat der weiß, dass es dann keinem Formschluss, sondern einen Kraftschluss gibt.

Verschlussträger-Verriegelung (oben)
Verschlusskopf-Verriegelung (unten)
So einfach scheint das Ganze aber gar nicht zu sein, denn nur weil eine Verbindung kraftschlüssig ist,  muss dies ja nicht auf alle Kanten zutreffen. So kann ich mich noch gut daran erinnern, dass mir die Abstützfläche des FN FAL immer schon sehr flach vorkam. Aber da wird ja auch der Verschlusskopf von Träger unten gehalten und genau das ist es, was man mit horizontaler Verriegelung zu meinen scheint.

Hier eine kleine Grafik eines  Kippblockverschlusses. Die Stoßbodenkräfte F mit ihrem grünem Pfeil drücken auf den roten Verschlusskopf. Dieser ist mit einer 45°-Kante im grauen Waffengehäuse abgestützt. Nun kommt es zu einer Kräftezerlegung welche in den beiden cyanfarbenen Pfeilen sichtbar wird. Ein Teil der Kraft wird auf das Gehäuse übertragen und ein anderer möchte den roten Verschlussträger gerne nach unten drücken. Dies resultiert an den Kontaktstellen vom roten Verschlusskopf und lilafarbenem Verschlussträger in den gelben Kraftpfeilen. Da diese Kontaktstellen aber, aus Sich des roten Verschlussträgers, 90° Flächen sind, kommt es hier zu einer formschlüssigen Verrieglung. Die Stoßbodenkraft F kann den Verschluss nicht öffnen, da Verschlusskopf und Verschlussträger mit einander verriegeln und das mit den namensgebenden horizontalen Flächen.

Bei Bild unten wirken die gleichen Stoßbodenkräfte F mit ihrem grünen Kraftpfeil auf den roten Verschlusskopf. Dieser ist jedoch mit einer 90° Fläche mit dem grauen Waffengehäuse in Kontakt. Der Verschluss ist bereits hier formschlüssig verriegelt und zwar durch einer vertikalen Kontaktfläche.

Der Unterschied besteht also im Ort des Formschlusses, dieser ist ein einer Waffe an mehreren Orten und vor allem zwischen mehreren Elementen möglich. Der früheste Schluss ist einfach der zwischen Verschlusskopf und Lauf, wie ihn AK und M16 ausweisen. Dann kann es zu einem Formschluss zwischen Übertragungsglied und Waffengehäuse kommen wie bei Stützkappen* oder Schwenkriegelverschlüssen* und wie hier zu sehen erst zwischen Verschlussträger und Gehäuse wie scheinbar bei FN FAL und Stg.44.

Aber wo liegt jetzt der praktische Unterschied? Das wird nicht in vollem Umfang so einfach zu beantworten sein aber denken wir uns mal in ein idealisiertes Modell hinein, in dem es keine Schwerkraft gäbe. Würde man im ersten Bild den lilafarbenen Verschlussträger einfach verschwinden lassen, würde sich der Verschlusskopf, unter dem Einfluss der Stoßbodenkräfte, nach unten bewegen und sich öffnen. Dabei müsste er nur zusätzliche Masseträgheit für die Vertikalbewegung überwinden.

Der unter Verschluss würde sich auch nach einem Verschwinden des Verschlussträgers nicht öffnen, da er sich selbst formschlüssig abstützt. Der Verschlussträger ist hier auf die Aufgabe reduziert, den Kopf in Position zu drücken und hat danach nicht mehr zu tun. Dadurch kann er natürlich aus weicherem Material gebaut werden.

Ein weitere Schlüsselpunkt ist die Reibung, wird der Verschluss oben durch ein indirektes Gassystem zwangsgeöffnet, so entsteht an den gelben Pfeilen eine Reibung. Diese entsteht, wenn die Stoßbodenkräfte noch bei voller Kraft sind. Der Verschlussträger muss also gegen diese Reibung nach hinten gezogen werden. Möchte man dies verhindern, so darf das Gassystem erst sehr spät in Aktion treten, was die theoretisch mögliche Feuergeschwindigkeit der Waffen reduziert.

Das untere System ist noch weit anfälliger, hier pressen die Stoßbodenkräfte den Verschlusskopf hinten ans Gehäuse, diese Verbindung muss vom Verschlussträger zwangs gelöst werden, in dem dieser den Kopf nach unten zieht. Dabei muss dieser die Reibungskräfte zwischen überwinden, was zu Abrieb führen kann. Dieser langsame Verlust an Material kann auf lange sich zu einem falschen Verschlussabstand führen.

Fazit: Vertikalen und horizontale Verriegelung gibt es und eine Unterscheidung kann, je nach Anwendungsbereich sehr wichtig sein.

P.S.

Noch mal vielen Dank für die Anregung, ich bin immer froh, wenn es mal neue Anstöße im sonst eher drögen Bereich der Waffenkunde gibt.

*bevor ich hier jetzt RPD für den Stützklappenverschluss und das vz.58 für den Schwenkriegelverschluss nennen, würde ich doch gerne erstmal gucken, ob die beiden denn wirklich mit ihren Übertragungsliedern verriegeln und nicht auch mit ihren Verschlussträgern. Denn da bis jetzt nur selten sauber unterschieden wurde, sollte man besser keine alten Kamellen ungeprüft abschreiben. Das dazugehörige Experiment ist übrigens denkbar einfach: 

Man nimmt sich die Waffe, entfernt den Verschlussträger und baut sich aus Klingeldraht oder Schaumstoff einen Ersatzkörper, der einfach nur das jeweilige Übertragungsglied davon abhält, unter der Schwerkraft aus einer Position heraus zu fallen. Alternativ kann man auch einfach die Waffe so hinlegen, dass die Schwerkraft für einen arbeitet. Anschließend führt man den Stifttest aus, den ja jeder kennen sollte. Öffnet sich der Verschluss ist der fehlende Verschlussträger wohl maßgeblich an der formschlüssigen Verriegelung beteiligt.

7. Juni 2022

Waffenfunktion: Rückstoßlader mit lang zurückgeleitendem Lauf, Vertikalriegel

Funktionsbeschreibung eines Feuerwaffenverschlusssystems. Angetrieben durch den Geschossrückstoß mit Wirkung auf Verschluss-Lauf-Koppelgruppe. Verriegelt durch Vertikalriegel. Verwendet mit anderem Verriegelungselement bei Browning AUTO-5 und Chauchat Maschinengewehr.

Rückstoßlader mit lang zurückgeleitendem Lauf
Kinematik: Rückstoßlader mit lang zurückgeleitendem Lauf

Bild 1: Die Waffe ist geladen und befindet sich in Ruheposition.

Bild 2: Der Schuss bricht, das Pulver in der Pulverkammer der Patronenhülse setzen sich in Pulvergase um. Da die Gase ein vielfaches an Volumen besitzen als das Pulver in seinem festen Zustand entsteht ein gewaltiger Drück, welcher zu allen Seiten hin wirkt. Die erste bewegliche Angriffsfläche bietet dem Pulver der Boden des Geschosses, welcher unter dem Druck aus der Patronenhülse heraus in den Übergangskegel des Laufes getrieben wird. Sobald das Geschoss den Übergangskegel erreicht und die Patrone kein geschlossenes Bezugssystem mehr darstellt, versucht der Gasdruck die Patronenhülse, wie einen Hohlkolben, nach hinten zu treiben. Die Hülse wird jedoch vom Verschluss (rot) abgestützt und überträgt die Kraft des Gasdrucks auf diesen. Der Verschluss (rot) ist jedoch über den Vertikalriegel (grün) mit dem Lauf (dunkel Petrol) verbunden. Der Verschluss ist formschlüssig statisch verriegelt, eine Öffnungsbewegung findet nicht statt.

Ebenfalls kann der direkt auf den Stoßboden wirkende Gasdruck die Lauf-Verschluss-Koppelgruppe nicht nach hinten bewegen, da der Gasdruck zu diesen Zeitpunkt nur im lokalen Bezugssystem wirksam werden kann. Erst, wenn das Geschoss den Einpresswiderstand in die Felder des Laufes überwunden hat und eine gewisse Geschwindigkeit erreicht, kommt es nach dem dritten Gesetzt nach Newton zu einer Gegenreaktion. Diese Gegenreaktion wirkt, im Gegensatz zum Gasdruck, nicht im lokalen sondern im globalen Bezugssystem. Dabei nutzt diese das Gas als fluidmechanischen Körper zur Übertragung der Gegenreaktion auf den Stoßboden des Verschlusses (rot) der Waffe. Da der Verschluss (rot) über den Vertikalriegel (grün) mit dem Lauf (dunkel petrol) gekoppelt ist, wird der Lauf im Waffengehäuse (grau) mit nach hinten gezogen.

Bild 3: Der Gesamte Rücklauf der Koppelgruppe wird durch den Rückstoß angetrieben. Am Ende des gemeinsamen Rücklaufes stößt der Vertikalriegel (grün) auf eine Steuerkulisse (lila). Diese zwingt den Vertikalriegel (grün) nach unten, worauf dessen Verriegelungsflächen ihre Lager in Verschluss (rot) und Lauf (dunkel Patrol) verlassen. Die Kopplung von Verschluss (rot) und Lauf (dunkel petrol) wird aufgehoben.

Bild 4: Unter der Kraft einer eigenen Rückhohlfeder wird der Lauf (dunkel petrol) wieder nach vorne zurück bewegt. Dabei entsteht ein Spalt zwischen zurückgehaltenem Verschluss (rot) und dem Lauf (dunkel petrol). Da die Patronenhülse nach wie vor von der Auszieherkralle am Verschluss (rot) gehalten wird, wird das Patronenlager (dunkel Petrol) von der unbeweglich stehenden Hülse heruntergezogen. Sobald der Lauf (dunkel petrol) wieder vorne in seiner Ausgangsposition ankommt, betätigt er dabei einen Unterbracher welcher den Verschluss (rot) wieder freigibt, welcher durch die Schließfeder wieder nach vorne fährt.

Quellen:

Die principiellen Eigenschaften der automatischen Feuerwaffen, Karel Krnka, 1902

Die Handfeuerwaffen Ihre Entwicklung und Technik, Robert Weisz, 1912

Innere Ballistik. Die Bewegung des Geschosses durch das Rohr, C. Cranz, 1926

Handfeuerwaffen, Systematischer Überblick, Jaroslav Lugs, 1956

Waffenlehre für die Bundeswehr, Heinz Dathan, 1972

Rheinmetall Waffentechnisches Taschenbuch, Dr. R. Germershausen, 1977

Waffenlehre - Grundlage der Systemlehre, Wolfgang Pietzner, 1998

Verschlusssysteme von Feuerwaffen, Peter Dannecker, 2016

Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik, Thomas Enke, 2021

Hatcher's Notebook, A Standard Reference Book, Julian S. Hatcher, 1948

The Machine Gun Analysis of Automatic Firing Mechanism, Georg M. Chinn ,1955

Engineering Design Handbook Automatic Weapons, USA Materiel Command, 1970

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung von:

waffentechnik.wordpress.com

5. Juni 2022

Waffenfunktion: Indirekter Gasdrucklader mit Kammerhub, Schwenkriegel

Funktionsbeschreibung eines Feuerwaffenverschlusssystems. Angetrieben durch indirekt wirkenden Gasdruck, durch Antrieb einer schwimmenden Patronenkammer. Verriegelt durch einschwenken eines Nasenriegels. In keiner bekannten Waffen eingesetzt.

Kinematik: Gasdrucklader mit Kammerhub, Stützkappen

Bild 1: Die Waffe ist geladen und befindet sich in Ruheposition.

Bild 2: Der Schuss bricht, die Pulverladung in der Patrone wird in Pulvergase umgesetzt, diese Gase wirken zu allen Seiten hin. Da die Patrone zu diesem Zeitpunkt jedoch noch ein geschlossenes System darstellt, könne die Gase nur eine Bewegung verursachen und zwar das heraustreiben des Geschosses aus dem Hülsenmund. Sobald das Geschoss die Patronenhülse verlässt, versuchen die Pulvergase die Patronenhülse, wie einen Hohlkolben, nach hinten aus der Patronenkammer (lila) zu schnieben. Da die Hülse jedoch vom Verschluss (rot) abgestützt wird, überträgt sich die Kraft auf diesen. Da der Verschluss (rot) jedoch mit der Patronenkammer (lila) via einem Schwenkriegel (grün) formschlüssig verbunden ist, kann der Gasdruck die Patronenhülse nicht nach hinten schieben. Der Verschluss ist formschlüssig statisch.

Jedoch befindet sich zwischen Patronenkammer (lila) und Lauf (dunkel petrol) ein Spalt, in diesem Spalt kann der Gasdruck eindringen und beaufschlagt dort sowohl eine Fläche welche zur Patronenkammer (lila) gehört als auch eine welche Teil des Laufes (dunkel petrol) ist.

Bild 3: Da der Lauf (dunkel petrol) gehäusefest ist, die Patronenkammer (lila) aber relativ zu Waffenlauf und Gehäuse beweglich gelagert ist, wird die Patronenkammer (lila) durch den Gasdruck nach hinten getrieben. Da die Patronenkammer (lila) gegen den Verschluss (rot) abgestützt ist, wird der Verschluss (rot) ebenfalls nach hinten getrieben. Dabei wird der Schwenkriegel (grün) gegen eine gehäusefeste Steuerkulisse (blau) geschoben, so dass dieser angehoben wird. Sobald das Geschoss im Lauf der Waffe stark genug beschleunigt wird, kommt es nach dem dritten Gesetzt nach Newton zu einer Gegenreaktion welche die Kriterien eines Rückstoßes erfüllt. Da dieser Rückstoß jedoch die Pulvergase als fluidmechanischen Körper benutzt, wirkt dessen Kraft ebenfalls im Graben zwischen Lauf (dunkel Petrol) und schwimmender Patronenkammer (lila).

Bild 4: Nach kurzem gemeinsamen Rücklauf mit dem Verschluss (rot) stößt die Patronenkammer (lila) gegen eine gehäusefeste Begrenzung und wird in ihrer Bewegung gestoppt. Da zu diesem Zeitpunkt der Schwenkhebel (grün) von der Steuerkulisse (blau) aus seiner Raste im Verschluss (rot) gehoben wurde, kann der Verschluss frei zurücklaufen.

Bild 5: Angetrieben wird der Verschluss (rot) bei seinem Rücklauf durch die kinetische Energie, welche er beim gemeinsamen Zurücklaufen mit der Patronenkammer (lila) aufgenommen hat. Diese Energie reicht aus, um die Patronenhülse aus der Patronenkammer (lila) auszuziehen. Geholfen wird ihm dabei von der Rückstellfeder der beweglichen Patronenkammer (lila), welche diese wieder nach vorne in ihre Ursprungsposition bringen möchte. Der Auszug der Hülse gescheit sowohl durch das zurücklaufen des Verschlusses, als auch durch das nach vorne laufen der Patronenkammer.

Quellen:

Die principiellen Eigenschaften der automatischen Feuerwaffen, Karel Krnka, 1902

Die Handfeuerwaffen Ihre Entwicklung und Technik, Robert Weisz, 1912

Innere Ballistik. Die Bewegung des Geschosses durch das Rohr, C. Cranz, 1926

Handfeuerwaffen, Systematischer Überblick, Jaroslav Lugs, 1956

Waffenlehre für die Bundeswehr, Heinz Dathan, 1972

Rheinmetall Waffentechnisches Taschenbuch, Dr. R. Germershausen, 1977

Waffenlehre - Grundlage der Systemlehre, Wolfgang Pietzner, 1998

Verschlusssysteme von Feuerwaffen, Peter Dannecker, 2016

Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik, Thomas Enke, 2021

Hatcher's Notebook, A Standard Reference Book, Julian S. Hatcher, 1948

The Machine Gun Analysis of Automatic Firing Mechanism, Georg M. Chinn ,1955

Engineering Design Handbook Automatic Weapons, USA Materiel Command, 1970

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung von:

waffentechnik.wordpress.com