29. Mai 2024

Funktion einer Waffe mit Vorlaufzündung

 Hallo alle zusammen und herzlich Willkommen zu einem neuen Post aus dem Bereich der Waffentechnik. Heute sehen wir uns die Funktion einer Waffen mit echter Vorlaufzündung an. Bedeutet, die Zündung beschied wirklich noch während des Vorlaufes und nicht erst danach, wenn der Verschluss bereits zum stehen gekommen ist.

Weil es immer wieder zu Verwechslungen kommt, hier nochmal der deutliche Hinweis, dass so gut wie keine bekannte Handfeuerwaffe echte Vorlaufzündung verwendet. Die meisten günstigen Maschinenpistolen wie Uzi, Sten, PPSch-51 oder Thompson M1A1 zünden durch ihren Verschlussvorlauf, nicht während diesem. Eine Ausführliche Erklärung des Unterschiedes findet sich am Ende des Posts.

Aber nun zur Erklärung, denn im Gegensatz zur ''Zündung durch Vorlauf'' ist die '''Zündung während des Vorlaufes''' (eng. Advanced Primer Ignition) verriegelungsrelevant. Durch eine spezielle Einrichtung, wird die Patrone bereits gezündet, noch bevor der Verschluss in seiner vordersten Position angekommen ist. Dadurch müssen die Stoßbodenkräfte, vor allem der Gasdruck, nicht nur die Masseträgheit des Verschlusskörpers überwinden, sondern zusätzlich gegen dessen nach vor gerichteten Bewegungsimpuls ankämpfen, um diesem jetzt endlich zu einer Bewegung nach hinten zu zwingen.

Eine Zündung während des Vorlaufes ist nur möglich wenn, zum einen der Zündstift zu einem genau bestimmten Zeitpunkt auf das Zündmittel der Patrone trifft. Zum anderen muss dem Zündstift ein Gegenlager geboten werden, damit sein auftreffen auf das Zündmittel nicht einfach zu einem ''nach vorne schieben'' der Patrone führt.

Die Waffe befindet sich in Ruhe, eine Patrone ist jedoch bereits aus dem Patronenvorrat entnommen worden und wird von den Auszieherkrallen (dunkelrot) des Verschlusses (rot) gehalten. Der Verschluss (rot) befindet sich in hinterster Stellung und wurde gegen die Verschlussfeder gespannt.

Der Bewegungsimpuls beträgt zu diesem Zeitpunkt 0, der Gasdruck in der Patrone beträgt mit 1 bar in etwas den Druck der Umgebungsluft.


Der Schütze hat den Abzug abgekrümmt, der Verschluss (rot) beginnt seinen Weg nach vorne. Angetrieben wird er dabei von seiner Schließfeder. Bei seinem Vorlauf stößt die Zündwippe (grün) des Verschlusses (rot) auf eine gehäusefeste schräge Ebene (cyan), die Zündwippensteuerkurve. Diese zwingt die Zündwippe, zur einer Rotation, welche den Zündstift (schwarz) langsam in Richtung Zündhütchen zwingt.

Der Bewegungsimpuls des Verschlusses ist nun hoch, der Gasdruck liegt noch bei 1 bar.

Der Verschluss (rot) setzt seinen Vorlauf weiter fort, dabei wird die Zündwippe (grün) von der gehäusefesten Steuerkurve (cyan) soweit zur Rotation gezwungen, dass der Zündstift (schwarz) in das Zündhütchen der Patrone (messingfarben) gedrückt wird. Dies ist nur deshalb möglich, weil die Auszieherkrallen (dunkelrot) die Patrone an ihrem Platz halten, wären diese nicht vorhanden, würde die Patrone einfach nach vorne weg gedrückt werden.

Es kommt zur Zündung der Patrone, da sich jedoch der Gasdruck in der Brennkammer der selbigen erst entwickeln muss, setzt der Verschluss seinen Vorlauf noch ein wenig fort.

Der Bewegungsimpuls des Verschlusses ist nach wie vor hoch, der Druck in der Patrone steigt, kann aber vorerst wenig ausrichten, da die Patrone erst noch ein geschlossenes System darstellt.

Das Geschoss hat den Mund der Patronenhülse verlassen, die Gasdrucksäule im Lauf ist nun in der Lage, sowohl das Geschoss durch den Lauf zu treiben als auch die Patronenhülse nach hinten. Ursache dafür ist die Allseitigkeit des Drucks in Geschlossenen Räumen nach den Gesetzen von Blaise Pascal.

Der auf die Patronenhülse ausgeübte Druck versucht diese nach hinten aus der Patronenkammer heraus zu treiben, diese wird jedoch vom Verschluss (rot) abgestützt. Diese besitzt jedoch zu diesem Zeitpunkt immer noch einen nach vorne gerichteten Bewegungsimpuls, welcher zunächst vom Gasdruck überwunden werden muss. Ist dies geschehen, besitzt der Verschluss (rot) für einige Sekundenbruchteile eine Geschwindgeit von genau 0. Er bleibt kurz stehen, bevor er seine vorderste Position erreichen kann. Der stehende Verschluss besitzt, zwar keinen Bewegungsimpuls mehr, jedoch noch einen Ruheimpuls entsprechend seiner Masse. 

Ab dem Zeitpunkt seines Zwischenstopps, verhält sich ein Verschluss mit ''Zündung während des Vorlaufes'' genau wie ein regulärer Masseverschluss. Der Gasdruck treibt nun den Verschluss nach hinten, wobei die Patronenhülse wieder aus dem Patronenlager herausgezogen und schließlich ausgeworfen wird. Dabei zieht sich der Zündstift meist aus Sicherheitsgründen wieder aus dem Stoßboden zurück.

Vorteile und Nachteile

Das große Vorteil des Systems ist, dass man durch ''Zündung während des Vorlaufes'' den Verschluss deutlich leichter konzipieren kann als bei reinen Masseverschlüssen. Je nach Gasdruck der verwendeten Patronen und der Verschlussvorlaufgeschwindigkeit, lässt sich das Gewicht um bis zu 66% verringern. Da die Vorlauf Geschwindigkeit eine derart große Bedeutung für das System darstellt, werden meist sehr potente Verschlussfedern verbaut. Die Verschlussfeder der 20 mm Oerlikon Maschinenkanone muss entweder von drei Mann oder durch ein Spannseil mit starker Hebelwirkung gespannt werden.

Der große Nachteil des Systems ist zum einen die aufwändige Zuführung. Aus dem Patronenvorrat entnommene Patronen müssen umfassend ergriffen werden und gegen den Stoßboden fixiert werden, um dem Zündstift ein Gegenlager zu bieten. 

Zu anderen muss die Munition sehr sorgfältig produziert werden. Sollte es zu einem Spätzünder kommen, bei welchem ein abgeschlagenes Zündhütchen erst zeitlich verzögert die Treibladung entzündet, so wird es vorkommen, dass der Verschluss seinen Vorlauf bereits abgeschlossen hat. Vorne an- und zum stehen gekommen, würde sich der Verschluss wie ein normaler Masseverschluss verhalten, hätte jedoch für den Druck der Patrone nicht die nötige Masse. Die sichere Verschlussgeschwindigkeit würde überschritten werden.

Verschlüsse mit ''Zündung während des Vorlaufes'' haben zudem ein Problem mit der S-Strecke mancher Patronen und setzen deshalb meist zwingend besondere Munition voraus. Ist dies nicht möglich, so müssen entsprechende Waffen mit verlängerten Patronenkammern ausgestattet werden, welche eine Patrone auch dann schon umfänglich abstützen, auch wenn diese noch nicht vollständig in das Patronenlager eingeführt wurde.

Waffen die nachweisliche keine echte Vorlaufzündung besitzen

Immer wieder wird vor allem in Sachbücher] einfachen Maschinenpistolen wie der israelischen Uzi eine ''Zündung während des Vorlaufes'' nachgesagt. Dies ist jedoch durch aktuelle Zeitlupenaufnahmen und zeitgenössische Experimente widerlegt worden.

Für das Experiment wurden 30 Schuss im Einzelfeuer aus einer Uzi-Maschinenpistole regulär abgegeben. Danach wurde ein blinder Auszieher verbaut, die Patronen einzeln in die Patronenkammer der Waffe gelegt und abgefeuert. Da keine schnellere Verschlussrücklaufgeschwindigkeit gemessen wurde, ist dazu auszugehen, dass die Patronen erst bei vollständiger Einführung in die Patronenkammer zünden und nicht schon während des Vorlaufes.

Grundlagen:

Die principiellen Eigenschaften der automatischen Feuerwaffen, Karel Krnka, 1902

Die Handfeuerwaffen Ihre Entwicklung und Technik, Robert Weisz, 1912

Innere Ballistik. Die Bewegung des Geschosses durch das Rohr, C. Cranz, 1926

Handfeuerwaffen, Systematischer Überblick, Jaroslav Lugs, 1956

Rheinmetall Waffentechnisches Taschenbuch, Dr. R. Germershausen, 1977

Waffenlehre - Grundlage der Systemlehre, Wolfgang Pietzner, 1998

Verschlusssysteme von Feuerwaffen, Peter Dannecker, 2016

Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik, Thomas Enke, 2021

Hatcher's Notebook, A Standard Reference Book, Julian S. Hatcher, 1948

The Machine Gun Analysis of Automatic Firing Mechanism, Georg M. Chinn ,1955

Engineering Design Handbook Automatic Weapons, USA Materiel Command, 1970

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