Hallo alle zusammen und herzlich Willkommen zu einem neune Beitrag nach sehr langer Zeit.
Heute widmen wir uns der Frage, warum die meisten Gewehrpatronen wie 7,9x57mm oder 7,62x54mmR deutlich zu viel Leistung für ihren eigentlichen Zweck als Gewehrpatronen hatten und warum man dies nicht schon sehr viel früher, zum Beispiel direkt nach dem zweiten Weltkrieg, geändert hat.
Es ist natürlich immer leicht zu sagen, dass die Menschen es damals einfach nicht besser gewusst hätten aber das ist, wie so oft in der Geschichtsschreibung, viel zu einfach und zu kurz gegriffen, schließlich waren die Menschen damals nicht dümmer als wir heute.
Um dem ganzen auf den Grund zu gehen, springen wir zu nächst zur Linieninfanterie des 18. Jahrhunderts, diese hatte zwei große Angstgegner. Diese waren zum einen die Reiterei. Es galt als absoluter infanteristischer Albtraum von berittenen Gegner niedergeritten, mit Säbel zerschlagen oder von Lanzen aufgespießt zu werden. Diese Angst konnte jedoch durch das aufkommen des Bajonettes und deutlich gemindert werden.
So blieb der zweite Angstgegner - die Artillerie. Des Öfteren geriet Linieninfanterie unter den Beschuss eines Gegners, welche der einzelne Soldat selber meist noch nicht mal sehen konnte. In besonders unglücklichen Fällen, verlangte es die strategische Schlachtordnung, dass die Infanterie an eben jener Stelle verblieb, um eine wichtige Position zu halten oder dem Gegner den Zugang zur eigenen Flanke zu verwehren.
Die Folge bestand darin, dass die Soldaten mit ansehen mussten, wie vom Boden abprallende Kanonenkugeln durch die einen Reihen schlugen oder Sprenggeschosse die Kameraden neben ihnen in Stücke rissen. Dieses infanteristische Trauma grub sich tief in die Erinnerungen der Waffengattung ein und wurde über Generationen weiter getragen.
Als nun ab 1880 die damals als "Rauchloses Pulver" bezeichnete Nitrozellulose aufkam, wendete sich das Blatt in den Augen der Infanteristen, da es dieses deutlich leistungsstärkere Treibmittel dem normalen Infanteriegewehr eine Reichweite von bis zu zwei Kilometern erlaubte.
Das Ganze darf man sich jedoch nicht so verstellen, dass ein einzelner Soldat ein Artilleriegeschütz in eineinhalb Kilometern Entfernung erblickt, sein Visier auf die entsprechende Distanz eingestellt und dann gezielte Schüsse auf den vormaligen Angstgegner abgegeben hätte. Viel mehr hätte der Offizier der Gruppe ein feindliches Artilleriestück durch seinen Feldstecher erblickt, daraufhin wäre die Gruppe angewiesen worden, ihre Visiere auf die vom Offizier ermittelte Entfernung einzustellen, worauf auf einen Zielpunkt gezielt und anschließend gefeuert worden wäre.
Auf diese Weise hätte sich eine Gruppe normaler Gewehrschützen wie eine riesige artilleristische Schrotflinte verhalten. Die im hohen Bogen von oben auf die Artillerie einprasselnden Gewehrprojektile hätten zwar die einzelnen Artielleriestücke nicht nachhaltig beschädigen können, jedoch wäre eine Bedienung selbiger durch die meist ungeschützte Besatzung unmöglich gewesen, ohne Verluste zu erleiden. Die meist aufwendig ausgebildeten Kanoniere wären in Deckung gezwungen und ihre Kanonen zum schweigen gebracht worden.
Besonders frühe englische Gewehre besaßen für dieses "Volley Fire" neben der Visierung für den persönlichen Schuss extra "Volley Sights" für das zusammengefasste Gruppenschießen.
Diese Taktik besaß in den Augen früher Strategen eine derartig bedeutende Rolle, dass man ebenfalls annahm, dass sich zukünftig Infanteriegruppen auch gegenseitig auf diese Art bekämpfen würde. Der Nahkampf unter 200 Metern wurde von nun an nur noch der Kavallerie zugestanden. Dies ist unter anderem der Grund warum die deutsche Gewehrprüfkommission und auch keine anderen Stelle 1905 kein Problem damit haben wird, dass die Visiereinstellung des Deutschen G98, mit Änderung auf Spitzpatrone, erst bei 200 Metern anfangen wird.
Aber das griffe zu weit vor, wir gehen nun zurück nach 1895, denn ab diesem Jahr beginnt die Artillerie rapide aufzuholen. Zunächst gelang es nicht die neue Nitrozellulose für größere Geschütze zu bändigen, da man vor allem materiallogische Probleme hatte, große Geschützrohe in ausreichender Festigkeit zu fertigen. Zudem hatte man große Probleme mit der Treffgenauigkeit, erst neue Formeln sowie Optiken und andere Zielhilfe ermöglichten es der Feldartillerie, die Reichweite der Infanteriegewehr wieder weitgenug zu übertreffen, um ihre alte Rolle auf dem Schlachtfeld wieder einnehmen zu können.
Ab dies Zeitpunkt, auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert, so würde man nun erwarten, dass die Leistung der Gewehrpatronen wieder zurückgefahren worden wäre, um den einzelnen Schützen eine deutlich angenehmer zuschießende Waffe zur Verfügung zu stellen.
Dies wurde auch überlegt, so ersann der Waffenkonstrukteur Karl Krnka ein "Miniaturgewehr". Dabei handelte es sich um eine Waffe welche in allen wichtigen Parametern reduziert war, sprich kürzerer Lauf, kleines Kaliber, kürzere Hülse. Eine solche Waffe wäre leichter und schneller zu schießen gewesen, hätte auf dem Marsch weniger gestört und der Schütze hätte mehr Munition am Mann tragen können.
Das Hauptbedenken gegen diese kleine Waffe war zunächst, dass die meisten Nationen zu diesem Zeitpunkt über lange überstarke Gewehre verfügten. Man hatte schlicht Angst, dass es zu Situationen kommen könnte, bei denen die eigene Infanterie von der Gegnerischen zusammen geschossen werden könnte, wie die Infanterie des 18. Jahrhunderts ihrer Zeit von der Artillerie.
Diese Bedenken spielten jedoch zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Rolle mehr, als sich kurz später die ersten Maschinengewehre flächendeckend durchsetzen. Diese Form der Maschinenwaffe verwendete meist die jeweils landesübliche Gewehrpatrone.
Entgegen der landläufigen Meinung sind Maschinengewehre weitaus mehr als einfach ein Sturmgewehr mit mehr Munition. Man kann, wenn auch in einem kleineren Rahmen, artilleristische Aufgaben mit ihnen erfüllen. So ist es unteranderem Möglich über bis zu vier Kilometer hinweg die einen vorrückenden Truppen in hohem Bogen zu überschießen und einen Kugelhagel von oben auf die Gegner niederprasseln zu lassen (eng. Beating Zone).
Diese kleinen Artilleriewerkzeuge im Arsenal der Infanterie wurden schnell unverzichtbar. Das Problem war nur, dass die frühen Maschinengewehre diese Aufgaben nur dann weiterhin erfüllen konnte, wenn diese weiterhin mit den zu starken Gewehrpatronen arbeiteten. Ein Umstellung der Munition wurde zwar diskutiert kam aber nicht in Frage.
Die Situation wird sich später noch zu Ungunsten einer kleineren Patrone verschärften als die ersten Flugzeugmaschinengewehre fest in Flugzeuge verbaut werden* welche zum einen auf eine große Reichweite angewiesen waren und zum anderen auch darauf, in den Geschossen noch zusätzliche Funktionen wie Brandsätze zu integrieren. Auch das aufkommen früher Panzer, um 1918 noch schlicht Tank genannt, verlangt nach leistungsfähigen Patronen, um frühen panzerbrechenden Geschossen mehr Durchschlagleistung zu geben.
So bekamen die Japaner mit ihrer recht leistungsschwachen 6,5x50mm Meiji 38 (三十年式) Probleme in der Manschurei mit ihren weiten Feldern, worauf die leistungsstärkere 7,7x58mm Typ 99 (九九式) entwickelt wurde.
Heute lebende Menschen werden nun wahrscheinlich fragen, warum man damals nicht einfach zwei Patronen verwendet hat. Eine kleine für Gewehre und eine größere für Maschinengewehre. Dies sei ja auch heute üblich, wenn man sich die NATO mit 5,56x45mm und 7,62x51mm ansieht oder Russland mit 5,45x39mm und der immer noch verwendeten 7,62x54mmR.
Dabei vergisst man jedoch wie aufwendig Logistik ist und in welchen Kinderschuhen selbige damals um 1900 noch steckte. So führte selbst noch die Einführung der deutschen 7,92x33mm Kurz 1943 zu erheblichen Problemen. Zeitweise hatte man ganze Lagerhäuser voller Stg.44 welche man jedoch nicht an die Truppe ausgeben konnte, da die nötige Munition fehlte.
Auch Japan geriet durch das nebeneinander von 6,5mm Meiji und 7,7mm immer wieder in Schwierigkeit und so entschloss man sich mit dem Arisaka Typ 99 auch ein Gewehr für die 7,7mm zu schaffen, um nur noch eine Patrone produzieren zu müssen.
Als sich zur Mitte des Zweiten Weltkrieges hin die Logistik dahingehend verbesserte, dass man dieser endlich eine weitere Patrone zumuten konnte, wurde dieser Platz jedoch schnell von den damals immer verbreiteteren Maschinenpistolen eingenommen, diese persönlichen Maschinenwaffen verwendeten bereist existierende Pistolenmunition und waren schnell in den Orts- und Häuserkämpfen sowie in Waldgebieten unverzichtbar geworden. Alleine Deutschland ging das Risiko ein, diesen Platz ab 1943 der bereits erwähnten 7,92x33mm Kurz zu überlassen.
Selbst die NATO entschied sich 1959 noch Gewehre und Maschinengewehre für die gleiche Patrone, die 7,62x51mm NATO, einzurichten. Der Grundgedanke dahinter war, dass eine Kriegslogistik welche mehrere Länder umfasst hätte, deutlich effizienter gewesen wäre, wenn die Infanterie nur mit einer Lebenswichtigen*² Patrone hätte versorgt werden müssen. Man war also bereit, die Effizienz des einzelnen Soldaten zugunsten einer besseren Logistik zu opfern.
Die stärkere Leistung der 7,62x51mm hatte in den Augen der NATO, bei welcher es sich voranging um ein Verteidigungsbündnis handelt, den großen Vorteil, dass die eigenen Soldaten, aus ihren Stellungen heraus, deutlich früher gezieltes und leistungsstarkes Feuer abgeben hätten können, als die feindlichen Soldaten des Warschauer Paktes mit ihren 7,62x39mm Waffen.
Die Sowjetunion plante zunächst ebenfalls die Einführung nur einer Patrone, die 7,62x41mm sollte in Selbstladegewehren (später SKS-45), leichten Maschinengewehren (später RPD-44) und einer Avtomat genannten Mischung aus Sturmgewehr und Maschinenpistole (es wurde das Sturmgewehre AK-47) verschossen werden. Die Patrone musste jedoch auf das heute bekannte maß 7,62x39mm gekürzt werden. Schnell stallte man fest, dass es Maschinengewehre (RPD) und Selbstladegewehr (SKS) an Reichweite fehlte und so entstanden das Universalmaschinengewehre PK (Später PKM) und das Universal-Scharfschützengewehr SVD um den Reichweitenvorteil der NATO-Patrone im Kriegsfall auszugleichen.
Die Logistik des Nebeneinander der zwei Infanteriepatronen 7,62x39mm und 7,62x54mmR gelang und machte im Sowjetisch-Afghanischen Krieg keine großen Probleme. Erst im Donbass-Krieg und später im Ukraine-Krieg wird das Nebeneinander der zwei Maschinengewehr-Patronen 5,45x39mm (RPK-74) und 7,62x54mmR (PKM, PKP Pecheng) Probleme bereits, welche durch das aussondern des RPK-74 weitgehend behoben werden konnten.
Als die US-Armee 1963 das AR-15 als XM16E1 einführte kam mit der 5,56mm M193 eine neue Patrone in die Logistik, dessen Verteilung ohne Probleme von der Logistik bewältigt werden konnte. Jedoch scheiterte der Versuch ein Maschinengewehr für die M193 zu schaffen, da das leichte aber schnelle Geschoss der M193 auf Entfernung schnell an Wirkung verlor. Das Stoner 63 bot in der Konfiguration Mk.23 Mod 0 zwar bis zu 150 Schuss in einem Gurtkasten, wurde jedoch aufgrund der geringen Reichweite nur von Spezialeinheiten als feuerstärkeres Sturmgewehr eingesetzt. So verblieb das 7,62mm NATO MG M60 bei der Truppe. Zudem kam das Scharfschützengewehr XM21 für die selbe Patrone hinzu.
Erst die Einführung der 5,56mm NATO 1980 mit ihrem langsameren jedoch schweren SS-109 Geschoss ermöglichte die Entwicklung von leichten Maschinengewehren, welche dieser Rolle gerecht werden konnten. Durch die Ausrüstung mit M16A2 und M249 (FN Minimi) besitzen die USA wieder zwei Waffen eingerichtet für die gleiche Patrone.
Fazit:
Man hat früh erkennt, dass die damaligen Gewehrpatronen zu viel Leistung hatten, hat aber nichts daran geändert weil Maschinengewehre diese Art von Patronen brauchen um ihr volles Potential auszuschöpfen. Es war besser Gewehre mit zu viel Leistung zu haben als Maschinengewehre mit zu wenig. Die Logistik des Ersten Weltkrieges hätte zwei Munitionssorten nicht stemmen können, die Logistik des Zweiten keine drei und die zweite war die Pistolenmunition für die Maschinenpistolen.
Anmerkungen:
*Ironischerweise waren einige der aller ersten in Flugzeugen eingesetzt Maschinenwaffen für kleinere Patronen eingerichtet. So verwendete das italienische Kleistmaschinengewehr Villar-Perosa Pistolenpatronen vom Typ 9x19mm Glisenti. In US-amerikanischen Flugzeugen kam das Selbstladegewehr Winchester M1907 in .351 (9x35mm) zum Einsatz.
*² Pistolenmunition, welcher in der NATO-Armee lediglich in den Pistolen von MG-Schützen und Offizieren sowie den Maschinenpistolen von Fahrzeugbesatzungen verwendet wurde, wurde nicht als Lebenswichtig betrachtet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen